Nachdem ich in den letzten Jahren immer wieder potentielle, angehende und junge Lehrer kennengelernt habe, die sich „eigentlich schon“ hätten vorstellen könnten, den Lehrerberuf (auch weiterhin) auszuüben, bin ich zu der Auffassung gelangt, dass leider sehr viele Menschen den Traumberuf „Lehrer“ an den Nagel hängen beziehungsweise zu den Akten legen, weil sie spüren, erkennen und auch erfahren, dass sie nicht passen und nicht passend gemacht werden wollen.

So viele talentierte Leute kehren Schule den Rücken, weil sie zu individuell sind, zu „weich“, zu wenig aufopferungsbereit. Während einer Vorlesung fragte mich ein Student: „Kann ich Lehrer werden und mein Leben auch weiterhin führen? Wissen Sie, ich werde mein bisheriges Leben nicht aufgeben, um ständig den Erwartungen anderer zu entsprechen. Auch weiterhin will ich 1 x in der Woche mit meinen Freunden in der Kneipe sitzen, Bier trinken und Billiard spielen…“ Ich habe ihm geantwortet, dass er hoffentlich bei seiner Entscheidung bleibe, Lehrer zu werden. Schließlich bräuchten wir an unseren Schulen Menschen, die Menschen bleiben und sich nicht entmenschlichen lassen wollen. Individuen, die Kindern und Jugendlichen vorleben, dass Schule nicht das „einzig Wahre“ auf der Welt ist. Querdenker, die auf den Tisch hauen und sagen: „Schluss jetzt mit dem dusseligen Ernst des Lebens! Ich will es anders machen!“

Das Referendariat ist das ProblemWütende Menschen

Die nächsten Fragen bezogen sich auf das Referendariat. Verständlich. Das Referendariat bedeutet für unzählige angehende Lehrer, Abschied zu nehmen von sich und den eigenen Idealen und Werten. Jetzt beginnt auch für sie der Ernst des Lebens. Schluss mit den Universitäts-Flausen!

Und das ist ein wesentlicher Teil dessen, was unsere Schulkatastrophe ausmacht. Die praktische Lehrerausbildung sagt (im Durchschnitt!!!) sehr viel darüber aus, von welchem Menschenbild viele unserer Lehrer, Schulleiter und Ausbilder geprägt sind. Frei nach dem Motto „Früh übt sich, was ein Dübel werden will“ werden jene zurechtgebogen und mit „So-macht-man-das-Gelübden“ einbalsamiert, die möglicherweise das Talent, die Werte und die Verrücktheit hätten, unsere Schulwelt aus den Fesseln einer komplett antiquierten Gedankenwelt zu befreien.

Menschen als Lehrer

Unsere Schulen werden sich weder auf Geheiß von Politikern noch aufgrund von Elternbeschwerden weiterentwickeln. Unsere Schulen werden sich dann nachhaltig verändern – und ich spreche hier nicht von irgendwelchen Oberflächenverzierungen in Form von nett klingenden Reformen – wenn Menschen

Foto vom Autor, Coach und Menschen Andreas Reinke
Autor und Coach Andreas Reinke

den Lehrerberuf ergreifen und ausüben, die wissen, was es heißt, ein Leben außerhalb von Schule zu führen. Denn wer auch ein außerschulisches

Leben führt, weiß, dass unsere Schulen zum großen Teil eben nicht auf das sogenannte „richtige Leben“ vorbereiten. Was bitte soll ich jungen Menschen über „das richtige Leben“ erzählen, wenn ich nicht „richtig lebe“ und mein Leben zu 97,3 % auf Schule ausrichte beziehungsweise ausrichten muss?

Lehrer beziehungsweise angehende Lehrer können und dürfen sagen: „Nein, ich will das nicht. Ich will kein Lehrer sein / werden!“ Entscheiden sich

jedoch Schüler gegen Schule – was für eine mutige Entscheidung! – werden sie und ihre Eltern kriminalisiert und mit Strafen belegt

Unser Lehrermangel ist die Kehrseite einer zunehmenden Zahl an „Schulschwänzern“. Und wer meint, man könne dem Lehrermangel entgegenwirken, indem man irgendwelche Verbeamtungs-Leckerlies oder Sachleistungen in Aussicht stellt, wird auf Dauer sein blaues Wunder erleben.

Wir müssen die besten, schlausten, verrücktesten, empathischsten und lebhaftesten Menschen in den Lehrerberuf einladen. Und das machen wir nicht über Druck, Angst, Stress oder Langeweile – dafür sind kluge Menschen zu klug – das mache wir, indem wir sie gut behandeln und ermutigen, die zu sein, die sie sind.

Andreas Reinke
INSPIRATION FÜR ELTERN UND PÄDAGOGEN

4 Antworten

  1. Danke lieber Andreas für deine Zeilen. Du sprichst mir aus der Seele. Wir brauchen viel mehr Kreativitätsräume und Möglichkeiten sich selbst zu erfahren. Ich versuche das Thema „Persönlichkeitsentwicklung“ mit drei Fragenkomplexen in den Fokus zu legen, sodass ich in die Verbindung mit mir selbst, meinen Mitmenschen und meinem Vater im Himmel komme. Ich will ehrlich sein und die Freude am Leben vorleben. Wertschätzung und Partizipation der Schüler an den Prozessen spielen dabei eine zentrale Rolle. Mut ist das Geheimnis von Freiheit.

  2. Lieber Herr Reinke,
    das ist ein ganz wunderbarer Artikel – und fein ironisch formuliert. Sie sprechen mir aus der Seele! Genau so eine Haltung braucht es: Lehrer, die sich nicht verbiegen lassen, die authentisch bleiben und neben dem Lehrer-sein auch noch ihr Mensch-sein leben wollen (können). Oder besser noch: Dem Leben-wollen Priorität einräumen über dem Funktionieren-sollen. Das Problem ist allerdings ein allgemeines: Auch in der freien Wirtschaft gibt es dieses Phänomen, dass Leute sich über Gebühr ausbeuten lassen und dann in einem Burnout landen, wenn sie nie gelernt haben, auch mal „Nein!“ zu sagen und/oder rechtzeitig die Bremse reinzuhauen und dem gesunden Menschenverstand die Ehre zu geben. Letztlich ist das immer auch eine Charakterfrage: Hält man dem Druck stand der von außen ausgeübt wird, mehr leisten zu sollen, als es einem gut tut?! Man hat es in dieser Frage ja immer mit Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten zu tun. Viele scheuen das.

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