Von Inspirationen, Integralen und Idealismus

Kolumne, Teil VII

Acht Schulen. Ein Monat. Tabea erzählt von der Summer Tour 2018

„Willkommen in den Niederlanden!“Pauline empfängt mich an der Eingangstür. Ich schätze, sie ist Ende 30. Sie hat dunkelrote Haare und steht in einem grün-geblümten Kleid mit offenen Armen vor mir. Ich bin in Holland, nahe Arnheim. In einem kleinen 4.000 Einwohner Dorf, liegt eine der ca. 15 demokratischen Schulen Hollands. Seit zwei Jahren ist die soziokratische Schule Vo de Vallei ein fester Bestandteil des Dorfes. Pauline hat die Schule mit gegründet. Heute ist sie Lernbegleiterin und viel im Hintergrund der alltäglichen Schulorganisation aktiv.

Pauline hat uns extra Suppe gekocht. Nach so einer langen Reise hätte man bestimmt einen riesen Hunger. Ich muss lächeln. Für mich spiegelt diese Suppe gut wieder, wie ich demokratische Schulen in diesen Wochen erlebe: als ein Zuhause. Ich hätte nicht gedacht, dass es so wohnlich in Schulen sein kann. Jede Schule ist bunt, warm eingerichtet, es gibt viele Sofas, eine Wohnküche… und unheimlich nette Menschen, die einem ihre Dusche zur Verfügung stellen, einen Tee kochen oder eine Isomatte leihen.

Konzentriert arbeitet jedes der Mädchen für sich allein.

Während ich meine Suppe schlürfe, fällt mir eine Sache auf: Es ist ruhig. An allen anderen Schulen ging vormittags um diese Zeit die Post ab. Die Kinder hatten viel Energie und sind überall umhergesprungen. Es war nicht selten, dass mein Kopf gebrummt hat. Hier merkt man das Alter der SchülerInnen – ich befinde mich in einer weiterführenden Schule. Es herrscht Lernatmosphäre.An einem großen Tisch sitzen vier Mädchen beieinander. Jede hat ihre Headphones in den Ohren. Jede macht ihre eigenen Aufgaben. Ein Mädchen liest Zeitung. Ein anderes rechnet mit Integralen. Ihre beiden Sitznachbarinnen lernen für ihre Englisch Abschlussprüfung.

Ein Mädchen malt im Kreativraum. Sie möchte später Kunst studieren.

Pauline führt mich herum. Sie läuft gerade und entschlossen. Ihre Schuhe mit Absatz klappern über den Boden. Doch etwas in ihrem Auftreten ist sehr liebevoll und aufmerksam. Sie hat überall ein Auge. Ihre Augen strahlen Wärme aus, während sie mir die Kinder in den Räumen vorstellt. Ein Junge spielt Gitarre, eine Gruppe Schüler rappt für ihren Youtube Channel, eine andere Gruppe baut sich gerade eine eigene Spielfigur für ihr Lieblingsbrettspiel. Ein Mädchen tanzt im Bewegungsraum. Alles ist zu finden.

In Biologieraum hat ein Schüler hat seine Schuhe auf dem Tisch. Pauline geht auf ihn zu, um ihn zurecht zu weisen. Seine Antwort: „Dazu gibt es keine Regel.“ Pauline lacht. Ihr Schüler hat Recht. Es gibt nur die Regel, dass die Schüler ihre Schuhe nicht auf die Stühle legen dürfen. Über die Tische wurde nichts beschlossen. Pauline kann da nichts machen. Das ist Demokratie. Die Schuhe bleiben weiter auf dem Tisch. Sie nimmt es mit Humor und mich in den nächsten Raum.

Wenn Pauline mich in einen Raum führt, dann denke ich immer, dass die Schule dort zu Ende ist. Es gibt aber immer eine weitere Tür, die in einen neuen Raum führt. Räume wie den Darkroom, in dem Fotografien entwickelt werden, das Atelier, in dem genäht, gewerkelt, gemalt werden kann oder dem Technikraum, in dem momentan der Original Synthesizer einer bekannten niederländischen Band repariert wird.

Pauline schreibt an die Tafel, was es heute alles für Angebote und Besonderheiten für die Schüler gibt.

Am Ende der Führung stoppen wir in der Küche. 38 SchülerInnen gehen auf diese Schule. Die Quadratmeterzahl ist ziemlich hoch dafür.  Wie finanzieren sie das nur? In Holland bekommen alternative Schulen keinen Cent vom Staat. „Diese Schule braucht Idealismus.“ Die LehrerInnen verzichten auf einen sehr großen Teil des Lohns. „Toll wäre es, wenn wir irgendwann etwa das Gehalt eines Lehrers an einer Regelschule zahlen können.“ Ein Satz von Pauline bleibt mir im Gedächtnis: „Wenn wir hier für Geld arbeiten würden, dann wäre die Schule vielleich nicht so großartig.“

Pauline geht in ihrem Job auf. Sie hat stets ein aufmerksames Auge und Ohr – wie auch hier bei der Schulversammlung.

An Schulen wie dieser arbeiten Menschen für ihr Herz. Menschen, die von diesem Konzeptüberzeugt sind. Für die jedes Kind wichtig ist. Deren Engagement in einer tiefen Leidenschaft verwurzelt ist. Menschen, die ihren Sinn im Leben gefunden haben. Menschen, die aber nicht Vollzeit hier arbeiten können. Pauline verdient sich vor allem mit Schauspiel ihr Geld – aber nicht aus Pflicht. Sie genießt es, nicht nur aus der Schule Inspiration zu ziehen. Das Theater mit Schauspiel bereichert ihr Leben mindestens genauso wie die Freie Schule.

An meiner Regelschule gab es LehrerInnen, bei denen ich gedacht habe, dass ihnen ihr Beruf keinen Spaß macht. So etwas gibt es hier nicht – „Die halten es hier nicht lange durch.“ sagt Pauline. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal eine Schule gründen würde. „Ich konnte aber nicht anders, weil ich meine Kinder nicht auf eine normale Regelschule schicken wollte.“ Eine andere Freie Schule in der Umgebung gab es nicht.

Ich merke, wie diese Reise nicht nur mein Wissen über Freie Schulen erweitert. Diese Reise ist viel mehr. Sie bewegt etwas persönlich in mir. Es sind Menschen wie Pauline, die diese Reise zu etwas ganz Besonderem machen. Etwas Unvergesslichem.

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