3 Dinge, die ich durch Freie Schulen lerne

Teil II

Woran denkst du, wenn du ans Lernen denkst? Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich das Bild von einer Schulbank vor Augen. Ich sehe mich, wie ich einen Stift in der Hand halte und fleißig etwas aus meinem Buch abschreibe, was ich später auswendig lernen soll. Das Buch ist dabei das Zentrum des Lernens. Dieses Bild vom Lernen ist mir auf der Regelschule eingetrichtert worden. Es ist alles andere als vielseitig. Zum Lernen braucht man bloß ein Schulbuch. Zum Lernen muss man lesen.

Vielseitig
Lernen mit Büchern kann auch vielseitig sein.

Ich liebe Bücher. Durch ein Buch kann ich an dem Erfahrungsschatz von Anderen teilnehmen. Viele Fehler brauche ich nicht selber zu machen. Bücher sind durchdacht. Sie sind Wissen in gebündelter Form, komprimierte Lernerfahrung. Bücher geben Ruhe, fast schon eine Geborgenheit. Sie öffnen Türen in unbekannte Welten, sie inspirieren zu neuen Ideen, sie erklären mir Dinge, die ich noch nie verstanden habe. Immer wieder habe ich erlebt, dass eine Person, die viele Bücher zuhause hat, viel weiß, reflektiert und interessiert ist.

Bücher sind Weisheit. Wer ein Buch liest, der lernt. Mit der Zeit haben wir immer mehr angenommen, dass jemand der lernt, ein Buch liest.

Doch dieses Bild ist zu einseitig. Es ist begrenzt.

Lernen ist so viel mehr, als ein Buch zu lesen.

So vielseitig ist Lernen wirklich:

Denn wer sagt, dass ich am Klettergerüst, an dem ich verschiedene Arten des Hochkletterns ausprobiere, nichts lernen kann? Wieso kann Spielen mit einem Spielpartner, von dem ich mir manche Dinge abschauen kann, nicht lehrreich sein? Warum heißt es, dass wenn einem Kind langweilig ist und es selber etwas finden muss, um sich zu beschäftigen, es dabei nichts lernt?

Lernen passiert im Spiel. Lernen passiert in der Interaktion mit Anderen. Lernen passiert, wenn ich

Vielseitig
Ein Schüler lernt in der Natur.

Langeweile habe. Lernen passiert, wenn ich Neues ausprobiere. Wenn ich schlafe. Wenn ich einen Film schaue. Wenn ich Fragen stelle. Wenn ich koche. Wenn ich mich streite. Wenn ich mich vertrage. Lernen passiert in so vielen Teilen des Alltags – es ist mir bloß nicht bewusst und läuft nicht unter der „Plakette“ lernen.

Lernen passiert in der Tat so unbewusst, dass Kinder an Freien Schulen gar nicht wissen, dass sie gerade lernen. Sie lernen so “versteckt”, dass Menschen, die das Lernen nicht erkennen, sagen: “An Freien Schulen lernen Kinder nichts.”

Seitdem ich Freie Schulen kenne, will ich diese Grenzen in meinem Kopf auflösen, die Lernen mit Büchern verbinden. Ich will Bücher als einen wichtigen Bestandteil sehen, aber die vielen anderen bereichernden Teile nicht übersehen. Ich will andere Arten zu lernen mehr schätzen.

Vielseitig Lernen durch einen Stromausfall?

Letzte Woche gab es in meinem Stadtteil einen Stromausfall, der mehr als 28 Stunden angedauert hat. Es war so ein großer Stromausfall, dass deutschlandweit über ihn berichtet wurde. 31.000 Haushalte und 2.000 Gewerbe waren ohne Strom. Das musste ich mir anschauen. Ich habe mir die Zeit genommen, nachts durch die Stadt zu laufen, die wie ein schwarzes Loch wirkte. Einzig und allein, hat man ab und zu Kerzen in den Fenstern gesehen. Oder andere Passanten sind mit Taschenlampen an mir vorbei gelaufen. Alles war ruhig.

Vielseitig
Links in Köpenick ist Stromausfall.

Am Wagen des Katastrophenschutzes hingegen standen die verschiedensten 50 Menschen, um ihr Handy aufzuladen. Mit ein paar von ihnen bin ich ins Gespräch gekommen. Wir haben darüber geredet, dass eine Frau an der Kasse stand als der Strom ausgegangen ist, und sofort den Supermarkt verlassen musst. Ein Mann hat mir erzählt, wie seine Kinder früher schulfrei hatten. Ein Radioreporter hat mich gefragt, ob ich ihm ein kleines Interview gebe.

Und dann: Plötzlich ging das Licht an. Plötzlich war wieder Leben in der Stadt. Plötzlich war die Geisterstadt eine Großstadt. Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen.

Sicherlich hätte ich das auch alles in einer Zeitung lesen können. Doch dieses Ereignis mit allen Sinnen zu erleben, geht viel tiefer und bliebt mir viel mehr in meinem Gedächtnis hängen.

Erfahrungen wie diese lehren mich, dass ich manchmal mehr für mein Leben mitnehme, wenn ich, statt einem Buch eine Stunde zu widmen, mit einem Menschen eine Stunde lang ein Gespräch führe. Einfach mal rausgehe. Erfahrungen aufsauge. Neugierig bin. Lebe.

Denn die Gleichung „Ich + Buch = Lernen“ reicht nicht aus, um die vielseitigen Facetten des Lernens zu ergreifen.

Wenn du zu viel liest, trau dich ruhig, die Variable “Buch” mal auszutauschen.

 

Zu Tabeas Erkenntnis Nummer Eins, geht es hier: Ich kann alles lernen.

 

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