Kolumne, Teil IX
Acht Schulen. Ein Monat. Tabea erzählt von der Summer Tour 2018.
Heute: PIEKS Freie aktive Schule a. d. Feldern e.V.
„Du musst der sein, der am Telefon immer so krass Schwäbisch geredet hat.“ Ich begrüße Bernd, der Lernbegleiter an der PIEKS ist, einer Freien Demokratischen Schule in Stuttgart. Bernd ist ein Mensch, der gerne lacht. Ich auch. Wir können gut miteinander. Er ist in den Fünfzigern. Hat eine Brille, längere Haare und trägt ein Tye-Dye-Shirt. Ein bisschen Lehrer, ein bisschen Hippie, ein bisschen Rockstar.
Der Lehrer, der nie eigene Kinder wollte
Bernd ist der Lehrer, den ich mir stets gewünscht habe. Ein Lieblingsonkel, mit verrückten Ideen im Kopf, immer einem Witz auf den Lippen und einem offenen Ohr.
Selber Kinder haben wollte er nie. „Ich brauche die Flexibilität, um plötzlich sagen zu können: Hey, ich möchte nach Argentinien gehen.“ Umso mehr genießt er die Zeit mit den Kids an der PIEKS. Seit mehreren Jahren ist er hier zusammen mit seiner Partnerin „hängen geblieben“. Dafür hat er einen Job aufgegeben, in dem er wesentlich mehr verdient hat. Neben der Schule widmet er seine Zeit der Musik. Mit seiner halben Stelle bleibt ihm dafür viel Spielraum.
Die Leidenschaft am Kindeswohl
Bernd könnte auch „bloß“ als Musiker an der PIEKS arbeiten. Nur ca. 2/3 der Lernbegleiter müssen eine Ausbildung zum Lehrer haben. Das ist eine Besonderheit an Freien Schulen. Auf meiner Reise habe ich Menschen wie Köche und Ingenieure als Lernbegleiter erlebt. Bernd hat ein Hauptlehramtsstudium, was hilft, um die vom Staat festgelegte Quote zu erfüllen. Eins verbindet alle Lehrer, so unterschiedlich der Hintergrund: die Leidenschaft am Kindeswohl. Kindeswohl — das steht für Bernd immer und jederzeit im Vordergrund. „Es ist wie mein tägliches Gebet. Ein Gebet, was jeden Tag meine Aufmerksamkeit braucht.“
Die Musik nährt Bernd für seinen Job als Lehrer. Sein inneres Feuer für die Musik steckt an. Heute hat er in der Schule ein kleines Tonstudio aufgebaut. Marlene, eine sechzehnjährige Schülerin, und er arbeiten darin. Doch bevor sie anfangen zu musizieren, stöbern sie ein bisschen in der Vergangenheit. Bernd kennt Marlene seitdem sie eingeschult wurde. Sie haben inzwischen eine Playlist mit ihren eigenen Songs. Marlene klickt ein Lied an. Ein Pfeifen ertönt. Dann der Beat. Danach stimmt Marlene den Rap an: „Ich lache mich schlapp.“ Sie fangen an zu schnipsen. Tanzen durch den Raum. Ihre Bäuche krümmen sich dabei vor Lachen. „Was hört ihr euch gerade an?“ „Unsere alten Songs“ sagt Marlene. „Ihre alten Songs“ sagt Bernd.
Wahre Freundschaft zwischen Lernbegleitern und Schülern
Bernd und Marlene wirken sehr vertraut. Verbunden. „Das hier ist eine echte Freundschaft!“ sagt mir Bernd mit einem Grinsen und wendet sich zurück an Marlene, die gerade das nächste Lied angemacht hat. Diesmal ist es ein Cover von einem bekannten Song. Zusammen haben sie länger daran gearbeitet. Und auf einmal sind beide ganz ruhig. Lauschen Marlenes zarter Stimme, die durch den bunt bemalten Raum klingt. Ihre Augen glänzen. Seine Augen sind stolz.
Rock’n’Roll in der Schule
Ein paar Augenblicke später hört man Rock aus dem Kunstraum klingen. Marlene hat ihre Gitarre dabei, Bernd seine E-Gitarre. Während sie einen einfachen Rhythmus spielt und singt, improvisiert er. Sein Fuß schlägt auf dem Boden den Takt. Sein Kopf schwingt im Rhythmus dazu. Seine Haare gehen im Rockstar-Look mit. Und wenn Marlene einmal nicht weiterkommt, dann hilft er ihr, die richtigen Töne zu finden.
Für Bernd ist die Beziehung zu den SchülerInnen das Wichtigste. Er kennt hier jedes Kind persönlich. Er nimmt wahr, wenn es jemandem nicht so gut geht. Sieht, wenn ein Kind häufiger allein in der Ecke sitzt. Merkt, wenn irgendetwas anders ist als sonst. „Das ist der Vorteil an einer Schule mit nur 43 Kindern.“
Seit ein paar Jahren darf sich die PIEKS auch Demokratische Schule nennen
Die Kinder dürfen fast alles an ihrer Schule mitbestimmen. Das war nicht immer so. Vor ein paar Jahren war die PIEKS eine Freie Aktive Schule. Jetzt ist sie eine Freie Demokratische Schule. „Das bedeutet, dass jetzt nicht mehr die Lernbegleiter alles in der Umgebung der Schüler gestalten. Zum einen können die Eltern sich nun mehr aktiv beteiligen. Vor allem sind es aber die Schüler selber, die in Schulversammlungen entscheiden, was an der Schule passiert und was nicht. Es ist schließlich ihre eigene Schule.“, sagt Bernd und lächelt mich an. Die Schüler seien somit viel mehr auf Augenhöhe mit den Lernbegleitern.
„Mein Job ist fast eine übermenschliche Anforderung“
So eine enge Beziehung zu den Kindern sei allerdings nicht immer leicht. „Es ist ein täglicher Kampf. Ich lasse mich quasi mit Vollgrätsche auf jedes Kind ein. Einmal muss ich schauen, wo liegen die Bedürfnisse des Kindes. Dann ist die Frage wichtig: Wie kann ich bei aller Freundschaft die professionelle Haltung und die Verantwortung bewahren?“ Er muss vor allem mit seinem ganzen Ich in jedem Moment präsent sein. Sich einfach mal einen Tag abkapseln geht nicht. Er müsse stets mit sich im Reinen sein. „Mein Job ist fast eine übermenschliche Anforderung.“ Seitdem er an der PIEKS unterrichtet, macht er regelmäßig einen Mittagsschlaf.
„Es gibt keine heiligen Orte, die nur eine rosa Schleife haben.“, sagt mir Bernd, als ich mich verabschiede. Mein Blick schweift auf das Freundschaftsband an meinem Handgelenk, was mir ein Mädchen auf der Reise geschenkt an. Wir lachen: es hat keine Schleife — aber die Farbe ist rosa.
Mehr Infos zur PIEKS: https://pieks-fas.de/
Zum vorherigen Kolumnen-Artikel: Die Freie Aktive Schule Stuttgart
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