Die Pandemie verändert alles – auch das Lernen an einer Demokratischen Schule
Eine Schule, wie die meine lebt vom gemeinsamen Reden, Spielen, Mittagessen, davon dass Leute sich in Arbeitsgruppen (Komitees) und in der Schulversammlung treffen. Dabei lernen die Kinder und Erwachsenen voneinander und miteinander. Eine Demokratische Schule braucht ihre Gemeinschaft. In den Wochen vor dem Winter-Lockdown im Dezember 2020 veränderte sich dieses gewohnte Miteinander innerhalb der Gemeinschaft. Wir trugen alle Masken und nahmen Abstand. Wir entzerrten das Mittagessen, um die Abstände einhalten zu können und wir verzichteten auf Schulfeste oder auch auf Sportangebote. Sogar der Toberaum wurde umfunktioniert. Toben war von da an nur noch draußen möglich und das mit Abstand. Geht das überhaupt? Naja, die Schule wurde jedenfalls eine andere. Und das hat sich durch den Lockdown dann nochmal verändert.
Wie sieht demokratisches Homeschooling aus?
Den dritten Artikel meines Blogs schrieb ich im Februar diesen Jahres während des Winter-Lockdowns. Darin erzähle ich, wie die Schüler*innen unserer Demokratischen Schule im Homeschooling lernten. Ich konnte wahrlich nicht alles erfassen, was in dieser Zeit in unserer Schule passierte, dennoch versuche ich einen Einblick zu vermitteln, wie eine digitale Schulwoche so aussah:
Die Schule startet am Montagmorgen mit einem gemeinsamen Frühstück im digitalen Raum. Da findet eine Inforunde statt, bei der alle auf den neuesten Stand gebracht werden. So zum Beispiel heute: „Die erste Ausgabe der neuen Schüler*innenzeitung ist ab jetzt online! Die Redaktion veröffentlicht positive Nachrichten, die neuen Bücher der Bibliothek, Witze der Woche und eine Schatzsuche in der Wuhlheide. Wer Lust hat mitzuarbeiten, kommt Montags von 14-15 Uhr in die Videokonferenz.“
Nach den Ankündigungen haben wir Zeit für eine gemütlichen Start in die Schulwoche. Dieses Frühstück ist der Präsenszeit in der Schule wohl am Ähnlichsten. Es wird gelacht, durcheinander gequatscht und „ich sehe was, was du nicht siehst“ gespielt. Wir eröffnen Breakout-Rooms zum Treffen in den einzelnen Freundes- oder Interessensgruppen.
Im Anschluss gehen alle ihre individuellen Wege. Manche Kinder haben gleich Unterricht in Kernphysik, andere spielen Galgenraten auf einem digitalen Whiteboard. Ich selbst sehe eine kleine Gruppe von Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren in einer Verabredung zum Thema „Verdrehte Buchstaben“. Wir beschäftigen uns heute mit Palindromen: EINE TREUE FAMILIE BEI LIMA FEUERTE NIE.
Schüler*innen organisieren ihren Unterricht
Auch die Schüler*innen selbst organisieren Unterricht. Sogar schon bei den Kleinen. Die Erstklässlerin Hoa beispielsweise – sie war auch schon Teil des letzten Blogbeitrags – führte eine Stunde zur menschlichen Verdauung durch. Eine Mitarbeiterin assistierte im weißen OP-Kittel, Hoa erklärte den Weg der Nahrungsaufnahme bis zu ihrer Verdauung, und die Kinder vor den Bildschirmen ergänzten ihr Vorwissen. Und sie wussten sehr viel.
So auch in der Verabredung „Sprechen über…“, in der jede Woche ein faszinierendes Tier vorgestellt wird. „Wusstest du, dass es eine Spinne gibt, die tauchen kann? Die Argyroneta Aquatica spannt sich eine schützende Taucherglocke mithilfe ihrer Spinnenfäden und geht damit Unterwasser.“ Wow, wie macht sie das nur? In der nächsten Woche geht es um Fledermäuse.
Während die Tierfans über die Unterwasserspinne reden, treffen sich vier Abschlussklässler*innen zur Vorbereitung auf den anstehenden MSA (Mittlerer Schulabschluss). Gemeinsam bearbeiten sie die Probeprüfungen in Mathe der vergangenen Jahre. Die vier lernen gerne zusammen. Das klappt auch digital. In einer Stunde sind sie mit einem pädagogischen Mitarbeiter verabredet. Da können sie nochmal einige Fragen klären. Wie geht das eigentlich nochmal mit der Flächenberechnung bei mehreren Unbekannten? Immer noch nicht verstanden? Dann besteht für sie immer noch die Möglichkeit Einzelunterricht mit den Mitarbeiter*innen zu verabreden.
Kann digitale Demokratie funktionieren?
Mitte der Woche ist die Schulversammlung. Um ehrlich zu sein, ist sie schlecht besucht. Das mag daran liegen, dass die Schüler*innen gerade wenig Wünsche in die Schule tragen, die dort eine Umsetzung finden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das pädagogische Team viele organisatorische Entscheidungen treffen muss, die ohne Pandemie unter Einbeziehung der Gemeinschaft geschehen würden. Offensichtlich fehlt es gerade etwas an den gewohnten Mitbestimmungsrechten der Kinder. Außerdem sind digitale Diskussionen echt anstrengend. Ich frage mich dabei, ob eine digitale Demokratie funktionieren kann?
Trotzdem will die Schulversammlung über die Umbaumaßnahmen eines Raumes sprechen. Da soll ein neuer Boden rein, der auch zum Sporttreiben geeignet ist. Bald kann hier Yoga und Aikido angeboten werden. Die Schulversammlung holt sich erste Ideen ein, die Entscheidung wird aber aufgrund zu weniger Anwesender vertagt.
Voller ist es allerdings in den anschließenden Treffen der Komitees. Das Medienkomitee trifft sich, um neue Bücher anzuschaffen – „der Mandolorianer“ und das „Lexikon der Supertiere“. Das passt ja zur Lernverabredung mit den Spinnen. Auch im parallelen Treffen des Besucherkomitees sind einige Kinder und Mitarbeiter*innen. Sie erklären einer FsJ-Bewerberin die Schule.
Yoga, Übungsdiktate, Genetik und Minecraft
In den folgenden Tagen gibt es weiteren Onlineunterricht: Yoga, Übungsdiktate, Genetik, Bäume, Kunstgeschichte, Spanisch für Anfänger, English Games, Rechnen mit Brüchen, Minecraft spielen und Server verstehen, Boxen (von und mit Schüler*innen) oder auch offene Gesprächsgruppen zu den aktuellen Nachrichten.
Die Schule versucht verschiedene Angebote zu machen. Der Plan verändert sich, so wie auch die Interessen der Kinder. Er wird erweitert und überarbeitet. Den Überblick zu behalten, fällt gar nicht so einfach. Wir schreiben den Kindern nicht vor, womit sie sich beschäftigen sollen, oder dass sie Unterricht besuchen müssen, vielmehr versuchen wir ihnen eine Alltagsstruktur zu schaffen, innerhalb derer ihre Interessen geweckt werden und die unterschiedlichen Bedürfnissen Platz haben. Wir nutzen Clouds, Padlets und Videokonferenzen. Des Weiteren hat jedes Kind zwei Vertrauenspersonen, die per Mail oder Telefon erreichbar sind.
Ein erstes Fazit – uns fehlen die direkten Kontakte
Wir bemerken, für alle ist die Situation ungewohnt und angespannt. Dennoch geht es vielen Schüler*innen gut. Sie haben in ihrer bisherigen Schulzeit Selbstwirksamkeitserfahrungen machen dürfen, die sie dazu befähigen ihre Zeit selbst einzuteilen. Sie wissen oft schon in frühen Jahren, was sie interessiert und womit sie sich beschäftigen wollen. Und sie haben sich die Fähigkeit erhalten, zu staunen und sich begeistern zu lassen. Im kleineren Rahmen gelingt das auch im digitalen Raum, doch der direkte Kontakt fehlt uns allen sehr.