oder

Manipulation und emotionale Erpressung im Schulalltag

 

Belohnungssysteme

In der Ausbildung zur Lehrkraft lernen die Studierenden die operante Konditionierung kennen. Auch konkrete Einsatzformen in der Unterrichtspraxis werden beschrieben und empfohlen:

Die operante Konditionierung ist ein Model unterschiedlicher Belohnungs- und Bestrafungsarten, welches das Ziel hat erwünschtes Verhalten zu verstärken und unerwünschtes Verhalten zu unterbinden.

Beispielsweise wird erwünschtes Verhalten mithilfe von Tokens (Aufkleber, Muggelsteine, o.ä.) belohnt. Die gesammelten Tokens können dann gegen positive Dinge eingetauscht werden (zehn Aufkleber –> ein Spielzeug). In der Theorie der operanten Konditionierung stellt dies die Belohnung Typ 1 dar [Hinzufügen eines positiven Reizes].

Die in der Fachliteratur als problematisch beschriebene Bestrafung Typ 1 [Hinzufügen eines negativen Reizes] (Chance,1999, S. 210) findet in der Praxis aber auch immer noch Anwendung. Zum Beispiel in Form von Strafarbeiten, Moralpredigten oder dem Bloßstellen vor anderen.

Viel beliebter ist in Lehre und Praxis die Bestrafung Typ 2 [Wegnehmen eines positiven Reizes]. Die Variante, die ich in all meinen Praktika am häufigsten beobachtete, war das Pausenverbot. Gerade die wildesten Mädchen und Jungs mussten meist neben dem Lehrerzimmer sitzen, während die anderen auf dem Schulhof spielten. Wenn Lehrkräfte die Übeltäter im Verlauf der Pause mal nicht brav sitzend vorfanden, kam hie und da noch eine Prise Bestrafung Typ 1 dazu.

Zu guter Letzt noch die Belohnung Typ 2 [Wegnehmen eines negativen Reizes]. Dabei ist der Hausaufgabengutschein in der Schulpraxis wohl am verbreitetsten. An dieser Stelle stellt sich die Frage, warum Hausaufgaben innerhalb dieses Schulsystems als negativer Reiz gesehen werden, aber das ist nochmal ein Thema für sich.

Diese gerade dargestellte operante Konditionierung wurde in Versuchen mit Tieren nachgewiesen und wie dargestellt, in die Schul- und Erziehungslandschaft implementiert. Sie ist sehr effektiv, wenn es um Verhaltensmodifikation geht. Aber das rechtfertigt noch nicht ihren Einsatz. Diese gezielte Manipulation kann meines Erachtens nicht sein, wenn Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden sollen.

Achtsamkeit
Begegnung auf Augenhöhe

Und genau darum soll es an dieser Stelle gehen: Kindern auf Augenhöhe begegnen.

Was ich genau darunter verstehe, möchte zunächst genauer darlegen. Tatsächliche Unterschiede zwischen den Menschen sollen bei solchen Begegnungen nicht ignoriert werden. Ein Erwachsener, der schon 30 Jahre Erfahrung mit dem Schriftspracherwerb hat, unterscheidet sich von einem Kind, das erst fünf Jahre Erfahrung sammeln konnte. Ein noch vorurteilsfreier Blick eines Kindes auf eine neue Situation unterscheidet sich von einem Blick eines Erwachsenen, der durch viele ähnlichen Situationen beeinflusst und vorurteilsbehaftet ist.

Augenhöhe soll verhindern, dass eine Struktur entsteht, in der sich der vermeintlich mächtigere/erfahrenere Mensch über einen anderen Menschen stellt und eine Macht-Einbahnstraße entsteht (Lehr–>Lern). In einer Begegnung auf Augenhöhe wird das Gegenüber als voll- und gleichwertig anerkannt und die unterschiedlichen Ressourcen, Kompetenzen und Perspektiven können ergänzend kombiniert werden (Lern<–>Lern).

Das Verständnis von Freundschaft in der deutschen Gesellschaft kann einen gedanklichen Ausgangspunkt für die hier überlegte Begegnung von Erwachsenen und Kindern darstellen.

Man stelle sich eine Freundschaft von Gleichaltrigen oder eine intime Partnerschaft vor, in der sich eine Person mit Hilfe der operanten Konditionierung bewusst an der anderen Person „zu schaffen“ macht, um sich einen liebevolleren, achtsameren und „besseren“ Menschen heranzuziehen. Woher nimmt man sich heraus zu wissen, was ein „besserer Mensch“ ist? Wenn dieses „Zu-schaffen-machen“ beim Leser einen unangenehmen Beigeschmack verursacht, stimmt mich das optimistisch.

In Freundschaften scheint es auch selbstverständlicher zu sein, sich trotz Unterschieden im Erfahrungsschatz oder der höheren Expertisen in einem bestimmten Fachgebiet nicht über den anderen zu stellen.

Dass diese Sicht aber in den seltensten Fällen in der Erwachsenen-Kind-Beziehung angekommen ist, zeigen meine oben genannten Erfahrungen aus Lehre und Schulpraxis.

Diskriminierung geht meist mit einem Nicht-vorhanden-sein von echter Augenhöhe einher. Ich hoffe, dass es, ähnlich wie in den Diskriminierungsfällen Mann-Frau, Weiß-Schwarz, homosexuell-heterosexuell uvm. auch in dem hier fokussierten Fall Erwachsener-Kind zu einer Veränderung kommt. Einer Veränderung hin zu einer Begegnung auf Augenhöhe.

Weitere Themenbereiche, um die es an dieser Stelle nicht gehen soll, möchte ich aber um der Vollständigkeit des Gedankens halber erwähnen: z.B.: Mensch-Natur (Tier, Pflanze); sexuelle Orientierung-andere sexuelle Orientierung; Mensch-Mensch; … .

Aus dem Zusammenleben von Menschen ergeben sich automatisch Belohnung und Bestrafung. Ein Kind, das von einem anderen Kind gesagt bekommt, dass es nicht mit ihm spielen möchte, bewertet das vielleicht als Bestrafung Typ 2. Eine Mutter, die sich über die ersten Schritte ihres Kindes freut und es mit positiven Rückmeldungen überhäuft, praktiziert Belohnung Typ 1. Diese sich aus natürlichen Situationen ergebenden Bestrafungen und Belohnungen erfüllen wichtige Funktionen des menschlichen Zusammenlebens (Chance, 1999, S.187 ff.). Kritisiert werden soll an dieser Stelle die zielgerichtete Instrumentalisierung von Belohnung und Bestrafung mit dem Ziel der Konditionierung zu erwünschtem Verhalten in der Institution Schule und damit später auch in der Gesellschaft.

Aus der Reihe tanzen

Da mir die operante Konditionierung als gezielte Manipulation von Kindern in Schule fehl am Platz vorkommt – vor allem, wenn diese zum Ziel hat, Gehorsam zu belohnen und Aus-der-Reihe-tanzen zu bestrafen – , kommt mir dabei eine hinzukommende emotionale Erpressung noch fehl-er am Platz vor. In einem Gespräch im Lehrerzimmer beschrieb eine Lehrerin, wie sie bewusst seltener die eingeforderte körperliche Nähe (Umarmungen) zuließ, wenn die Schülerin nicht das tat, was von ihr verlangt wurde. Einen so intimen und emotionalen Teil, ganz gleich in welcher Beziehung, im Sinne der operanten Konditionierung zu instrumentalisieren, kann nur ungesund für das Kind und die Beziehung sein.

Wenn Zuneigung bzw. zwischenmenschliche Wärme an Bedingungen geknüpft wird, dann wird in meinen Augen immer ein destruktiver Pfad eingeschlagen. Bedingungslosigkeit der Zugewandtheit ist meines Erachtens gerade in der Erwachsenen-Kind-Beziehung (aber auch in allen anderen Beziehungen zwischen Menschen) einer der wichtigsten Grundbausteine.

Literatur:

Chance, P. (1999). Learning and Behavior. Pacific Grove: Brooks/Cole.

 

 

3 Antworten

  1. Danke für das teilen dieser Erkenntnis.
    In mir kommt der Gedanke auf, dass „schools of trust“ Gemeinschaft auch an die Unis/ Ausbildung gehen sollten. Vlt. wäre das mein Auftrag die Kontake zu vermitteln.

    1. Liebe Julia,

      ja das ist dein Auftrag. Die Inhalte von schools of trust sollten möglichst viele Menschen erfahren, Gemeinsam dürfen wir diesen neuen WEg gestalten. Auch auf XING und Facebook sollten wir in den Gruppen diese Texte posten und Auf die Bewegung aufmerksam machen. Denn dieser Weg lohnt sich.

      Mit lieben Grüßen
      Robert

  2. Danke für diesen Beitrag. Er bestärkt uns darin, dass das was gerade in der Grundschule (!!!!) unseres Sohnes passiert so gar nicht richtig ist. Da bekommen Kinder schon Pausenverbot, weil sie das Blatt nicht schnell genug abgeheftet haben. Es ist so traurig, dass man diesem System so ausgefliefert ist und Lehrer irgendwie nach der Prüfung keiner weiterer Kontrollen ausgesetzt sind. Und das alles auf dem Rücken der Kinder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert