Auf Fundamente will man aufbauen

Jeder Mensch hat einige Grundannahmen über den Menschen (Anthropologien)…

… die er mal mehr, meist weniger reflektiert. Dieses Menschenbild ist abhängig von der jeweiligen Kultur im Land (Deutschland, Bhutan, Estland…), von der Umwelt (Familie, Religion,…) und von vielem anderen mehr. Die Grundannahmen dienen dabei als Fundament, auf dem alle anderen Gedanken aufbauen.

 

In den meisten Diskussionen und Gesprächen werden diese Menschenbilder nicht angerührt und bleiben über den Lebensverlauf relativ stabil. Es kann aber durchaus ergiebig sein, sich seines eigenen Menschenbildes bewusst zu werden und es gegebenenfalls auch in Frage zu stellen.

Denn auf Fundamenten will man bekanntlich aufbauen. Das heißt, es ist wichtig das dieses stabil ist und nicht bei geringster Belastung nachgibt, einbricht oder in Schieflage gerät.

 

Und da man sich dieses Fundament in den allermeisten Fällen nicht wirklich ausgesucht hat, macht es doppelt Sinn dieses mal genau unter die Lupe zu nehmen, bevor man ein Haus darauf aufbaut.

In Anlehnung an die Empfehlung aus dem Blog-Artikel “man in the mirror” (https://blog.schoolsoftrust.de/man-in-the-mirror/) möchte ich an dieser Stelle mögliche Menschenbilder aufzeigen die man als angehende Lehrkraft haben kann.

Dabei geht es aber nicht darum, ein überlegenes/besseres Menschenbild zu propagieren, sondern lediglich darum eine Alternative darzustellen. Es soll ein Angebot sein auf das man sich gerne einlassen kann, aber nicht muss. Natürlich wird eine gewisse Parteilichkeit von meiner Seite durchschimmern, denn auch ich schreibe diesen Blog mit einem bestimmten Menschenbild im Kopf.

 

Eine erste mögliche Grundannahme…

… im Menschenbild der Mainstream-Pädagogik ist es, die Kinder als unfertige (defizitäre) Erwachsene anzusehen. Von ihnen wird Respekt gegenüber Erwachsenen verlangt. In den seltensten Fällen kommt es vor, dass auch Kindern gegenüber ein respektvoller Umgang herrschen soll. Eine Lehrperson darf ungestraft ein Kind mit erhobener Stimme vor seinen Freunden bloß stellen, wenn es unerlaubt auf dem Flur gerannt ist. Nun stelle man sich die Situation andersherum vor: Eine verspätete Lehrperson eilt im Laufschritt zum Kopierer und wird von einem Kind für diesen eindeutigen Regelverstoß zurechtgewiesen. Unvorstellbar? Warum eigentlich? Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.

Es herrscht ein klares Oben-Unten-Denken bzw. keine Gleich- und Vollwertigkeit zwischen und von Erwachsenen und Kindern.

Mit dem selben Selbstverständnis, mit dem die Kolonialmächte seit Christoph Kolumbus (1492) in die fremden Kulturen eingedrungen sind, um den unzivilisierten Wilden den rechten Weg zu weisen, wirken und walten auch heute noch Erwachsene unter anderem an Schulen in den Kinderwelten. Dabei sollen die unzivilisierten Wilden/unfertige Erwachsene auf den rechten Weg gebracht werden.

Ein interkultureller Kontakt kann aber auch anders von statten gehen.

Der Fremde versucht sich den ungewohnten Sitten und Gepflogenheiten ohne abwertendes Urteil zu nähern. Bei diesem achtsamen und respektvollen Umgang mit dem Gegenüber ergibt sich ein völlig anderes Klima, sowie ein Lernen von- und miteinander.

Dabei geht es aber nicht darum, die tatsächlichen Unterschiede zu nivellieren, sondern den Anderen in seiner Andersartigkeit als voll- und gleichwertigen Menschen zu sehen.

Es gab natürlich auch Menschen wie Janusz Korczak oder Carl Rogers, die das pädagogische Menschenbild in diese Richtung verändert haben. Mittlerweile findet man die Gleich- und Vollwertigkeit von Erwachsenen und Kindern auch in den aktuellen Erziehungsratgebern (Dreikurs & Soltz, 2008). Dennoch scheint dieses Menschenbild in meinen Lebens- und Schulerfahrungen eher die Ausnahme zu sein.

Eine weitere Grundannahme im Menschenbild aller mir bekannten Pädagogen,

ist die grundsätzlich gegebene Erziehungsbedürftigkeit von Kindern (Hamann, 2005, S.121 ff).

Aus der fehlenden Lebenserfahrung und der schwer abzustreitenden Hilfsbedürftigkeit der “physiologischen Frühgeburt” (ebenda, S.121) Mensch, wird die Bedürftigkeit, in irgendeiner Weise erzogen zu werden, abgeleitet. Aber nur weil der Erwachsene die meist mächtigere Position mit mehr Lebens-/Erfahrungszeit einnimmt, gibt ihm das auch das Recht das schwächere Gegenüber in eine Richtung seiner Wahl zu er-ziehen? Auch hier wieder das Angebot, mal eine andere Grundannahme in Betracht zu ziehen.

 

Welche Alternativen gibt es? Statt sie zu “ziehen”, könnte man Kindern einfach Vertrauen entgegenbringen und sie in ihrem Tun unterstützen. Statt sie als bedürftig anzusehen, könnte man ihnen, wie vollwertigen Menschen, Rechte zusprechen.

Damit hätte jedes Kind einen Autonomieanspruch.

An dieser Stelle möchte ich einen Vertreter der Antipädagogik (auf keinen Fall zu verwechseln oder gleichzusetzen mit der antiautoritären Erziehung!!!) zu Wort kommen lassen:

 

”Der Begriff Autonomieanspruch stellt eine Erweiterung des Begriffes Vertrauensbedürftigkeit insofern dar, als er dieses Bedürfnis schon für erfüllt setzt[…]. Während der Begriff Vertrauensbedürftigkeit als unspezifische anthropologische Aussage seinen Sinn hat (wie die Aussage, der Mensch habe ein Bedürfnis nach Nahrung, dann sinnvoll ist, wenn jemand das bestreitet), stellt der Begriff Autonomieanspruch eine spezifische Aussage dar, die eine humanistische Einstellung bereits voraussetzt. Auch sind die Assoziationen der Begriffe verschieden. Das Kind (der Mensch) als bedürftiges Wesen ruft so etwas wie Gnade und Barmherzigkeit, also Herablassung, herbei, während das Kind als anspruchsberechtigtes Wesen in einer Rechtsposition steht…” (Braunmühl, 1989, S.160)

 

“Unreifen” Erwachsenen, …

…oder Erwachsenen die wegen körperlicher Behinderung auf Hilfe und Pflege angewiesenen sind, würde wahrscheinlich niemand ihr Menschenrecht auf Selbstbestimmung/auf Autonomie absprechen. Aber Kindern wird es im Erziehungskontext einfach abgesprochen. Als wären sie keine vollwertigen Menschen.

 

Wichtig ist es mir an dieser Stelle noch einmal zu betonen, dass keines dieser Menschenbilder meiner Ansicht nach objektiv richtig oder falsch ist. Man kann an “das Schlechte” im Menschen glauben und wird dadurch wahrscheinlich, gemäß einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, “dem Schlechten” im Menschen vermehrt begegnen. Anders herum führt der Glaube an “das Gute” im Menschen wahrscheinlich dazu, dass man wundersamer Weise vermehrt “Gutes” in seinen Mitmenschen entdeckt. Ob der Mensch nun tatsächlich “Gutes” oder “Schlechtes” in sich trägt, lässt sich nicht abschließend klären. Aber wenn diese Grundannahmen meine Wirklichkeit in dieser Weise beeinflusst, wäre es doch deprimierend, sich für das “Schlechte” zu entscheiden.

 

Auf dieselbe Art und Weise verstehe ich auch die oben genannten Gegenüberstellungen von Grundannahmen: Gleich- und Vollwertigkeit oder nicht. Erziehungsbedürftigkeit oder Autonomieanspruch.

 

Dadurch, dass ich Kindern Gleich- und Vollwertigkeit, sowie einen Autonomieanspruch zuspreche, stellt sich vieles plötzlich in einem anderen Licht dar. Der Umgang miteinander verändert sich vollkommen. Die Atmosphäre schlägt um.

 

Literatur:

Braunmühl, E. (1989). Antipädagogik – Studien zur Abschaffung der Erziehung. Weinheim und Basel: Beltz.

Dreikurs, R., & Soltz, V. (2008). Kinder fordern uns heraus: Wie erziehen wir sie zeitgemäss?. Stuttgart: Klett-Cotta.

Hamann, B. (2005). Pädagogische Anthropologie. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag.

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