„Nur“ Werkrealschulabschluss?
An den meisten freien Schulen absolvieren die Schülerinnen und Schüler eine Schulfremdenprüfung zum Werkrealschulabschluss.
Immer wieder begegne ich besorgten Eltern, die mich darauf ansprechen, was man denn mit diesem Abschluss eigentlich machen könne.
Da kursieren die unmöglichsten Gerüchte.
Von: der Werkrealschulabschluss ist doch nur ein besserer Hauptschulabschluss,
bis zur Frage:“ Kann mein Kind dann überhaupt weitermachen? Sprich ein Abitur machen?“
Als ehemalige Berufsschullehrerin möchte ich hier mal mit all diesen Gerüchten aufräumen. Den Werkrealschulabschluss gibt es in Baden – Württemberg seit den 90ziger Jahren.
Zuerst war es ein Schulversuch, danach setze er sich in allen Hauptschulen mit 10 tem Schuljahr durch.
Er sollte einen Alternative sein oder vielleicht auch ein Ersatz, das weiß ich bis heute nicht, für die zweijährige Berufsfachschule, die nach dem Hauptschulabschluss auf die mittlere Reife vorbereitet, dafür jedoch zwei Schuljahre benötigt.
Die zweijährigen Berufsfachschule bietet den Vorteil, dass handwerklich, künstlerische Talente mehr Gewichtung bekommen.
Auf einer zweijährigen hauswirtschaftlichen Berufsschule zählen die praktischen Fächer Nahrungszubereitung oder Textilarbeit zu den prüfungsrelevanten Fächern. So kann ein Jugendlicher der in den Kulturwissenschaften weniger Stärken hat seine Schwächen mit seinen Stärken in den handwerklichen Prüfungsfächern ausgleichen.
Die Werkrealschule sollte den gleichen Ansatz haben. Den Kindern also, die handwerklich, künstlerisch und sozial begabt sind, Möglichkeiten zu bieten, diese auch auszubauen und einzusetzen.
Dafür wurden die Schwerpunkte Gesundheit und Soziales, Wirtschaft und Information, Natur und Umwelt als Fächerverbünde ab Klasse 7 an der Werkrealschule eingeführt. ( Immer Bezogen auf Ba-Wü)
Informationen aus erster Hand gibt es hier:
Der Werkrealschulabschluss ist der mittleren Reife gleichgestellt und erlaubt bei einem Notendurchschnitt von mindesten 3,0 den Besuch eines beruflichen Gymnasiums an dem, wenn man bereit ist eine zweite Fremdsprache zu lernen, eine allgemeine Hochschulreife erworben werden kann.
Inzwischen gibt es in der Generation der ersten Werkrealschulabgänger etliche studierte Menschen. Da der Abschluss jedoch öffentlich so verachtende bewertet wird, ist es schwer jemanden zu finden der als Absolvent einer Hochschule zugeben würde seine Laufbahn auf einer Hauptschule begonnen zu haben.
Die verachtende Bewertung beginnt mancherorts schon am beruflichen Gymnasium. Da gibt es tatsächlich Lehrer die ihre Werkrealschüler/innen den Titel gymnasiale Hauptschüler verleihen.
In Baden-Württemberg kann man mit dem Werkrealschulabschluss also alles erreichen ( auch Medizin und Jura zu studieren), sofern man sein Abi mit 0,8 besteht.
Ein berufliches Gymnasium gibt den Jugendlichen die Möglichkeit ihre Stärken einzusetzen. Interessiere ich mich Betriebswirtschaft, so ist ein Wirtschaftsgymnasium das richtige, oder bin ich sozial engagiert und interessiere mich für Pädagogik, so kann ich mich für ein sozialpädagogisches Gymnasium entscheiden. Mindestens ein Hauptfach entspricht dann meinen Neigungen. Mittlerweile gibt es 6 verschiedene Fachrichtungen und zum Teil noch Unterkategorien in den Fachbereichen.
Die Berufskollegs bieten zudem die Möglichkeit eine allgemeine Fachhochschulreife zu absolvieren, dann sind mir manche Studiengänge zwar verwehrt doch in Anderen, die meinen Neigungen entsprechen, habe ich Vorteile da ich eine Vorbildung in meinem Fachbereich vorweisen kann. Manche Berufskollegs bieten nicht nur den Abschluss sondern auch einen anerkannten Berufsausbildung (siehe Erzieherin, Grafikdesigner….).
Wir sehen also man kann nicht von „nur“ sprechen.
Alle Möglichkeiten stehen offen.
Die wichtigste Frage für die Abgänger unserer freien Schulen ist, was und wohin möchte ich?
Wo kann ich meine Stärken ausleben und mich als mensch einbringen.
Ganz abgesehen davon, dass im Moment vorwiegend das Handwerk nach motivierten Auszubildenden sucht.
Schon heute müssen Auftraggeber für handwerkliche Aufträge oft monatelang warten bis ihre Badsanierung oder Heizungsmodernisierung ausgeführt werden kann.
Was werden wir machen wenn es den Bäcker, den Metzger, den Maler, den Maurer, den Klempner, den Heizungsbauer, den Elektriker nicht mehr gibt.
Wird dann der studierte Nahrungsmittelchemiker unsere Brötchen backen oder der Elektroingenieur die Leitungen im Neubau verlegen ?
Ich hoffe ich konnte mit diesem Beitrag einige Eltern „beruhigen“ und Licht ins Dunkel bringen. Informationen für andere Bundesländer findet ihr auf den Seiten der Kultusministerien eures Bundeslandes.
Dorothea Claßen Montessoripädagogin und Technische Lehrerin HWSR a.D.
Wer sich gut über den zweiten Bildungsweg informieren möchte findet hier die notwendigen Informationen.
https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Bildungswege-BW-2014.pdf
http://km-bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Allgemeine+Infos