Durch meinen Weg im Regelschulsystem, bei der Ausbildung, fühle ich mich manchmal „anders“. Ich meine nicht das „Anders“, was wir alle sind. Es fühlt sich dann an, wie das negativ besetzte „Gesellschafts-Anders“. So, als würde man nicht auch Mensch, sondern etwas Eigenartiges sein. Dieses Gefühl ist an manchen Tagen da und es lastet schwer. In der Berufsschule kommt dieses Gefühl häufig auf, auch, wenn es langsam abnimmt. Dieses Gefühl kommt dann, wenn ich zu hören bekomme, dass ich in einer kleinen Blase – in der Freien Schule – arbeite. Der Ernst des Lebens würde sich außerhalb der Blase abspielen und diese Realität würden wir dort nicht leben. Dies ist der wiederkehrende Wortlaut mancher Mitschüler*innen. Mein Bauchgefühl ruft dann, dass es Ängste dieser Menschen sind, weil sie das freie System nicht kennen und es für sie neu ist. Doch im ersten Moment ist diese Aussage wie ein Schlag ins Gesicht. Meine Glücksgefühle treten den Rückzug an. Ich gehe dagegen, indem ich sage, dass das Leben eines freien Systems klein anfängt, aber immer größer wird und Kreise zieht, denn wir sind nicht die Einzigen.
Solche Konversationen ernüchtern mich im ersten Moment. Ich fühle mich in diesem Raum mit Gegenargumenten, als hätte jemand meinem Herz seine Flügel gestutzt. Zudem kommt das Gefühl alter Glaubenssätze wieder hoch „Du hast die Pflicht, dich den anderen anzuschließen, damit du den geringsten Widerstand erfährst und nicht gegen den Strom schwimmst.“ Ich werde still und mein Herz muss sich ausruhen. Es fühlt sich plötzlich so schwer an.
Ich frage mich, warum das nicht überall so ist.
Dagegen steht meine Freiheit in der Freien Schule.
Während ich neben den Kindern sitze und ihnen bei ihrem unbeschwerten Spiel zuschaue, schweifen meine Gedanken ab.
In ihrem Spiel versunken und mit völliger Hingabe sitzen die Kinder da, gehen ihren Tätigkeiten nach und vollbringen große Arbeiten – Konversationen in anderen Welten ihrer Fantasie, Bauprojekte und Handarbeiten für die kranke kleine Schwester.
Manchmal ist es laut, weil viele Sachen besprochen werden müssen, es gibt Konflikte und es wird gestritten. Das darf sein, denn hier lernen die Kinder miteinander und voneinander, was es heißt, die Grenze eines anderen zu sehen und zu respektieren, seine eigenen Grenzen zu kommunizieren und zu wahren.
Dann ist es wieder bunt und entspannt, ein geschäftiges Treiben und überall sind Kinder in ihrer Arbeit.
Das Schönste sind die Beziehungen.
Das Schönste daran sind die Beziehungen, die sichtbar werden. Die Kinder sind im Spiel in Beziehung und in Projekten, ob mit anderen Kindern oder den Lernbegleitern.
Wir als Lernbegleiter, schreiben den Kindern nicht vor, was sie zu tun oder zu lassen haben. Es gibt Absprachen, um das Gemeinschaftswohl und das des Einzelnen nicht zu gefährden. Es gibt den Morgenkreis, in dem alle wichtigen Themen von den Kindern und Lernbegleitern besprochen werden, damit das Zusammenleben gut funktionieren kann. Ansonsten gibt es Lernverabredungen oder Angeboten keine Verpflichtungen für die Kinder. Sie können ihre Tätigkeiten frei wählen. Es fühlt sich gut an, denn es ist kein Widerstand gegen das Lernen da, sondern die Lust und die Freude, die Neugier und der Wissenshunger. Wenn die Kinder für etwas brennen, können sie das stundenlang. Ihre Interessen und Themen bearbeiten und erforschen sie über Wochen. Waveboard-Profis werden, Bürstenroboter bauen, Vogelhäuser und Eichhörnchenstuben herstellen, eigene Bücher schreiben und Kleider nähen.
In der Freien Schule, in der ich arbeite, fühlt sich das Anderssein an, wie die buntschimmernde Libelle, die von bunter Blüte zu bunter Blüte entlang des kühlen Bachs fliegt. Vollkommen unbeschwert, frei und im Einklang mit sich und der Umwelt. Prächtig schillernd in den buntesten Farben. Denn die Freiheit strahlt.
Über die Autorin
Juliana ist angehende Erzieherin und Lernbegleiterin an einer Freien Schule. Hier schreibt sie in regelmäßigen Beiträgen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen.
Eine Antwort
Danke ? für diesen Beitrag Juliana. Man möchte wieder in die Schule ? gehen 🙂