Wenn es einen heiligen Gral in der Pädagogik gibt, dann ist es mit Sicherheit die ‚intrinsische Motivation‘.
Sie wird in einigen Pädagogiken als die Grundbedingung für nachhaltiges
Lernen gehandelt und steht deshalb oft im Mittelpunkt pädagogischer, didaktischer oder erziehungswissenschaftlicher Abhandlungen über das Lernen.
Florian hat mit seinem letzten Blogartikel ein großes Fass aufgemacht und eine in meinen Augen sehr spannende These aufgestellt:
Er versteht die intrinsische Motivation und damit weitergedacht den nachhaltigen Lernprozess als ein Feuer, welches durch die Lehrperson zunächst entzündet und dann immer wieder ‚am Laufen‘ gehalten werden muss. Ein sehr interessantes Bild, das die Lehrperson als Wächter*in über das ‚innere Feuer‘ der zu Erziehenden zeichnet.
Tatsächlich deckt sich dieses Bild im Großen und Ganzen mit dem Selbstverständnis vieler Lernbegleiter*innen, mit denen ich mich bislang ausgetauscht habe. Viele nehmen gerne eine aktive Rolle ein, indem sie Impulse anbieten (sie entzünden das Feuer) und darauf basierend strukturierte Lernarrangements für interessierte Kinder austüfteln und bereitstellen (sie legen immer wieder Holz nach).
Wenn aber viele Lernbegleiter*innen im freien Schulalltag eine aktive Rolle einnehmen und nicht nur passiv in der Ecke stehen und beobachten, drängt sich an dieser Stelle die folgende Frage auf: Wie wird diese Rolle im Alltag ausgefüllt?
Aus meiner Sicht lässt sich die aktive Lernbegleiter-Rolle kaum sinnvoll umsetzen. Vielmehr stößt diese Rolle an bestimmte Grenzen, die ich im Folgenden kurz skizzieren möchte.
Erziehung zur Mündigkeit
Erziehung (und davon abgeleitet auch die Bildung) findet nur dann statt, wenn alles Handeln des Erziehers/der Erzieherin darauf abzielt, den zu Erziehenden zu einem mündigen Mitglied unserer Gesellschaft werden zu lassen. Mündigkeit ist wiederum eng mit Eigenständigkeit und Eigenverantwortung verknüpft. Ziel jedes Erziehungs- und Bildungsprozesses muss also sein, es dem zu Erziehenden bzw. zu Bildenden zu ermöglichen, Verantwortung für sich und seinen Lernprozess zu übernehmen.
Eine aktive Lehrperson, die bei einem Schüler/einer Schüler*in immer wieder „Feuer entzündet“ und „Holz nachlegt“, erschwert womöglich die Ausbildung einer Eigenverantwortlichkeit und reduziert die Schüler*innen (im extremsten Fall) zu bloßen Rezipient*innen und Konsument*innen ausgeklügelter Lernshows. In bestimmten Momenten aktiv Lernprozesse bei Schüler*innen zu initiieren und zu unterstützen ist richtig. Falsch ist aber, sich diesen Modus als permanente Rolle anzueignen und dabei das Gespür dafür zu verlieren, wann der Lernprozess losgelassen und ganz in die Hände (und damit in die Eigenverantwortung) der Schüler*innen gelegt werden sollte.
Überforderung der Lehrperson
Jede Lehrperson kennt das Gefühl, mit einem Haufen von (inneren und äußeren) Anforderungen konfrontiert zu sein und diesen in der Praxis nicht einmal annähernd gerecht zu werden. Die Lehrperson als permanente Wächter*in des Feuers, müsste einen 48-Stunden-Tag plus keinerlei Anspruch auf Freizeit oder Muße haben, um die eigenen Anforderungen erfüllen zu können.
In dem Jahrgangsbereich, in dem ich im Moment arbeite, begleite ich 43 Schüler*innen, zehn davon als Vertrauenslehrer. Würde ich mich als aktiver Lernbegleiter allein auf meine Vertrauenskinder fokussieren, müsste ich jeden Tag spüren und wahrnehmen, was alle zehn gerade antreibt, wo gerade ihre Interessen und Bedürfnisse liegen, welches Feuer durch welchen Impuls nun entzündet werden, welches Feuer durch genau auf die Person zugeschnittene Lernarrangements am Leben erhalten werden muss und so weiter.
Keine Lehrperson kann in diesem Ausmaß immer für alle Schüler*innen da sein. Damit die Schüler*innen ihr Potenzial voll ausschöpfen können, sollten (bzw. müssen) sie hingegen schon früh lernen, Lernprozesse in die eigene Hand zu nehmen. Ansonsten bleiben sie im schlimmsten Fall passiv und warten darauf, dass eine aktive Lehrperson sie „abholt“ und ein Feuerzeug zum Anzünden dabei hat.
Die Balance finden
Aus meiner Sicht müssen alle Lernbegleiter*innen für sich eine stimmige und praxistaugliche Rolle finden.
Praxistauglich ist es auf keinen Fall, sich im Schulalltag zurückzulehnen und die Schüler*innen dabei zu beobachten, wie sie etwas (nicht-)lernen.
Praxistauglich ist es jedoch auch nicht, die (hyper-)aktive Lehrperson zu mimen, die Non-Stop bei den Schüler*innenein Feuer entfachen will.
Die Gefahr besteht, irgendwann selbst zu erlischen (Burn-Out) oder die Schüler*innen zu entmündigen.
Es muss also darum gehen, eine Balance zwischen dem Aktiven und Passiven zu finden und auf dieser Basis die Schüler*innen angemessen in ihrem Lernprozessen zu unterstützen.
Erst das ermöglicht eine Umgebung, in der sich die individuelle intrinsische Motivation voll entfalten kann. Eine Umgebung, in der sich das innere Feuer dann auch voll ausbreitet.
Zu Patricks vorherigem Artikel: Von jemanden, der auszog, um Arbeit und Privatleben besser zu trennen.
Eine Antwort
Danke Patrick fuer deinen klaren Beitrag zu diesem wichtigen und herausfordernden Thema zum Begleiten von individuellen Lernprozessen.
Gruss aus Peru.