Zwei Mal habe ich geschwänzt. Obwohl ich freiwillig hier bin und eigentlich Motivation habe.
Motivation zu lernen
Für alle die meinen Blogartikel von letzter Woche nicht gelesen haben. Ich sitze immer noch am Meer in Frankreich. Ich mache derzeit einen Sprachkurs in La Rochelle, einem kleinen Städtchen direkt am Atlantik.
Ich fand die französische Sprache schon immer interessant. In der Schule war Französisch über sieben Jahre lang eins meiner besten Fächer. Mir hat es Spaß gemacht, neue Vokabeln zu lernen und zu verstehen, wie sie richtig ausgesprochen werden. Immer mehr länger werdende Texte zu verstehen. Beim Schüleraustausch zu bemerken, dass die gelernten Sachen tatsächlich stimmen. Mir ohne Probleme ein Eis auf französisch bestellen zu können.
Nach dem Abi war ich länger in spanischsprachigen Ländern unterwegs und habe mein Französisch ziemlich vergessen. Aber die Faszination ging nie verloren. Deswegen sitze ich jetzt hier im Sprachkurs.
In meinem Kurs sind ca. zehn weitere junge Menschen aus Deutschland. Alles Studierende, die den Aufenthalt ebenfalls über ein Stipendium finanziert bekommen haben und somit nicht völlig auf den Kopf gefallen sein können. Alle sind freiwillig hier und wollen freiwillig lernen.
Eine Gruppe junger, fähiger Menschen, die freiwillig etwas lernen wollen. Eine bessere Konstellation kann man gar nicht haben.
Eine schlechte Lehrerin
Unsere Lehrerin stellt sich uns am ersten Tag vor. Sie ist Anfang 30 und super lieb. Aber ich denke mir sofort: Sie ist die Art von Person, die mit SchülerInnen der achten Klasse eine wirklich schwere Zeit hätte. Wir merken gleich: Sie ist keine gute Lehrerin.
Sie ist Französin. Sie kann die französische Sprache fließend. Sie weiß, wie man französische Sätze korrekt bildet. Aber irgendwie kann sie uns das nicht richtig vermitteln.
Man muss ihr zu Gute halten, dass es mit unserer Gruppe nicht ganz einfach ist. Zwar sprechen wir alle auf einem fortgeschrittenen Niveau, dennoch gehen die Interessen hier auseinander. Während die einen philosophische Texte von Sartre diskutieren möchten, wollen die anderen lieber noch einmal die Anwendungsformen der verschiedenen Vergangenheitsformen wiederholen. Aber wir sind alle motiviert. Wirklich.
Es beginnt damit, dass sie von Tag eins an kontinuierlich Arbeitsblätter aus ihrer Tasche herausholt, welche wir dann abarbeiten. Das Problem hierbei ist jedoch, dass sie es nicht schafft eine Verbindung zwischen den Aufgaben zu erstellen. Alles wirkt zusammengewürfelt. Einmal müssen wir uns einen Fantasie-Zoo ausdenken, kurz danach sprechen wir über Umweltprobleme.
An Tag drei bitten wir sie zum Gespräch. Wir schlagen ihr höflich vor, was wir gerne anders machen würden (andere Themen, mehr Grammatik) und sie verspricht darauf einzugehen, betont aber gleich, dass sie sich ja auch an Vorgaben halten müsse.
Auf die Lehrkraft kommt es an
An die Vorgaben hält sie sich fast sklavisch. Vor allem an die Pausenzeiten. Das hat zur Folge, dass wir manchmal wirklich etwas erschöpft, nicht mehr aufnahmefähig waren und dennoch zwanzig Minuten bis zur nächsten Pause ausharren mussten. Auf der anderen Seite gab es Momente, in den wir intensiv am Arbeiten waren und zum Beispiel über ein spannendes Thema diskutierten und sie uns dann mir ihrem täglich wiederholenden Satz: „Ihr habt jetzt Pause!“ uns aus unserer Arbeit herausriss.
Ich habe das Gefühl, dass ihr irgendwie ein bisschen die Leidenschaft fehlt. Ich erinnere mich an einen Geschichtslehrer aus meiner eigenen Schulzeit, der manchmal förmlich schrie und theatralisch mit seinen Armen herumfuchtelte, weil er so von seinem Fach fasziniert und begeistert war. Sicherlich war das einigen zu viel, auf mich hat seine Begeisterung sich jedoch zumindest ein Stück weit übertragen.
Letztens haben wir auf unserer Facebook-Seite ein Zitat von Aristoteles gepostet: „Einen jungen Menschen zu unterrichten heißt nicht, einen Eimer füllen, sondern ein Feuer entzünden“. Ich habe das Gefühl, dass mein Feuer in den letzten Tagen eher kleiner geworden ist.
Das führt dazu, dass ich an zwei Tagen tatsächlich so unmotiviert bin, dass ich schwänze. Und lieber am Strand ein Buch lese.
Wenn ich ehrlich bin, hätte jeder ihren Unterricht machen können, der die französische Sprache auf Muttersprachniveau spricht und sich gut mit Grammatik auskennt.
Das ist ein hartes Urteil. Und ich will an dieser Stelle betonen, dass dies meine subjektive Wahrnehmung ist. Auch ich bin sicherlich nicht frei von Schuld.
Doch es macht mir gleichzeitig bewusst, wie wichtig die Rolle der Lehrkraft für eine Lerngruppe ist. Diese Erkenntnis ist nicht neu, auch die derzeit bekannteste pädagogische Studie zur Unterrichtsqualität, die Hatte-Studie kommt zu dem Fazit:
„Kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist: Der Lehrer, die Lehrerin.“
Motivation als Ausgangspunkt
Ich beschäftige mich seit zwei Jahren intensiv mit Freien und Demokratischen Schulen und ich habe das Gefühl, dass viele die Wichtigkeit der Lehrperson verkennen. Dass für viele es gar nicht so wichtig ist, wer genau an den Schulen als Lernbegleiter arbeitet, weil Kinder ja eh alles von sich aus lernen. Dass man sie einfach in einen Raum setzt oder noch besser in ein Stück Natur und sie automatisch anfangen eigenen Interessen herauszubilden, diesen nachzugehen und jegliches Wissen in sich aufsaugen.
Ich teile diese Meinung nicht (mehr).
Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass Freie und Demokratische Schulen, die Zukunft unseres Bildungssystems sind.
Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass Kinder sich so gut wie alle Fähigkeiten selbst aneignen können – ohne die Hilfe von Außenstehenden.
Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass Menschen nur dann wirklich nachhaltig lernen, wenn sie das aus intrinsischer Motivation heraustun. Ohne Druck. Ohne große Vorgaben von außen.
Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass es falsch ist, wenn Lehrkräfte sich als Autoritäten sehen, die das gesamte Wissen gepachtet haben und dies jetzt gönnerhaft mit den Schülern teilen.
Motivation alleine reicht nicht
Mein Aufenthalt in Frankreich hat mir jedoch wieder einmal gezeigt, dass es mit bloßer Motivation alleine nicht getan ist. Intrinsische Motivation und Freiwilligkeit ist die Ausgangslage. Ohne die beiden Voraussetzungen geht nichts. Aber auch mit Motivation ist der Weg zum Ziel weit. Ein guter Lehrer kann mich auf diesem Weg begleiten, mich unterstützen und mich darauf hinweisen, wenn ich vom Weg abkomme. Ein schlechter Lehrer kann mir Steine in den Weg legen, sodass ich vielleicht niemals ankommen werde.
Die bekannte Bildungsforscherin Jutta Wiesemann hat in einem Film über Freie Alternativschulen einen Satz gesagt, den ich durch meine Erfahrungen in Frankreich nun verstehe:
„Es reicht nicht Kinder beim Lernen zu begleiten, um eine Lehrerin zu sein. Und ich würde gerade die Freien Alternativschulen auffordern, den Mut zu haben Lehrer und Lehrerin zu sein“
Der Autor
Florian ist ein fester Teil von Schools of Trust. Er ist gerade dabei sein eher theorielastiges Lehramtsstudium abzuschließen und brennt darauf eigene Schulen zu gründen.
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