Entscheidungen.
Vor einer Woche bin ich 25 Jahre alt geworden. Ein großes Fest gab es nicht, ich habe den Tag in der Bibliothek verbracht. Prüfungsphase. Abends habe ich mich auf den Balkon meiner WG gesetzt und ein bisschen nachgedacht. Wow. Ein viertel Jahrhundert. Krass wie die Zeit vergeht.
Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein bisschen Angst vor dem Älterwerden bekommen.
Mit 25 Jahren fängt der Ernst des Lebens an.
Ich muss mich ab jetzt selbst sozialversichern und bekomme kein Kindergeld mehr.
Meine Schulzeit ist jetzt schon mehr als fünf Jahre her und die Erinnerungen fangen an, zu verblassen. Ich vergesse die Namen von Lehrern und ehemaligen Mitschülern und selbst meine besten Freunde aus der Schulzeit sehe ich nur noch alle paar Monate.
Wenn auch meine Teenager-Zeit schon lange vorbei ist, kann ich nun auch endgültig nicht mehr sagen, dass ich Anfang 20 bin.
Mit Mitte 20 bin ich erwachsen
Ich bin erwachsen. Das ist eine krasse Erkenntnis für mich. Einerseits muss ich mich wirklich nun nicht mehr rechtfertigen für das was ich tue. Nicht mehr auf meine Eltern hören. Kann voll mein Ding machen. Ich muss niemanden mehr etwas beweisen: dass ich alleine ins Ausland reisen kann, dass ich wild feiern kann, dass ich fernab von Zuhause überleben kann und sogar meine eigene Wäsche sauber kriege. Der Gruppenzwang der Schulzeit und der ersten Unisemester fällt weg.
Andererseits gibt es jetzt auch wirklich keine Entschuldigungen und Ausreden mehr. Ich bin kein Kind mehr. Meine Eltern wissen nicht besser, was gut für mich ist. Ich kann zwar den ganzen Tag vor Netflix verdaddeln, aber mir ist bewusst, dass keiner meine Pflichten, Wünsche und Vorhaben für mich regeln wird. Wenn ich etwas in dieser Welt bewegen will, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Nie wieder habe ich so wenig Verantwortung und gleichzeitig so viel Wissen und Energie.
Vor allem muss ich jetzt Dinge entscheiden.
Ein Freund von mir (ebenfalls 25) hat es auf den Punkt gebracht, als er meinte: Die größte Herausforderung, die wir jetzt haben, ist es Entscheidungen zu treffen.
Entscheidungen, die oft Auswirkungen auf unser restliches Leben haben.
Welchen Job soll ich nach der Uni annehmen? Soll ich ins Ausland gehen, um mich selbst zu verwirklichen? Was mache ich mit meiner Freundin? Soll ich ihr zuliebe hierbleiben? Oder im Job voll durchstarten? Wo kann ich hier glücklich werden?
Viele meiner FreundInnen und KommilitonInnen beschäftigen sich mit diesen Fragen und viele sind überfordert. Weil wir es nie gelernt haben, Dinge wirklich zu entscheiden.
Sind wir mal ehrlich: In der Schule entscheiden wir überhaupt nichts selber. Vielleicht dürfen wir wählen, ob wir lieber Kunst oder Musik machen oder lieber zwei Stunden mehr Geschichte oder Biologie haben. Oder über die Spiele beim Sommerfest mitentscheiden – ansonsten ist alles vorgegeben.
Richtig Verantwortung übernehmen wir da nicht. Wenn etwas schief geht, retten das die Erwachsenen schon.
Auch privat übernehmen die wenigsten Verantwortung für sich selber. Meistens machen wir doch das, was die Freunde oder die Peergroup tun.
In der Uni ist viel vorgegeben
Und auch in der Uni hält sich das mit der Verantwortung eigentlich in Grenzen. Klar, wir müssen uns selbstständig nach Praktika umschauen, uns selbst zum Lernen motivieren und eigenständig Kurse wählen. Und irgendwie eine Wohnung auftreiben und die Miete finanzieren. Aber trotzdem ist die Struktur dann doch sehr vorgegeben. Statt zwischen Bio und Geschichte, wähle ich ob ich in meinem Politikstudium ein Seminar zu regionalen Konfliktlösungsmechanismen in Afrika oder Internationalen Politischen Ökonomie des Klimawandels belegen möchte. Und im Zweifelsfall ziehe ich ins Wohnheim, wo sogar der Hausmeister ungefragt die kaputte Glühbirne im Flur repariert.
Das ist auch vollkommen legitim, keine Frage. Trotzdem glaube ich, dass wir gerade im Hinblick auf die Zukunft, von der wir sehr wenig Ahnung haben, Menschen brauchen, die die volle Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen können. Und zwar selbstständig.
An vielen Freien Schulen lernen Kinder Entscheidungen zu treffen
Wir brauchen mehr Schulen, an denen so etwas geübt wird. Schulen, an denen Kinder von Anfang an Verantwortung für ihr Leben übernehmen. An denen Kinder von Anfang an mitentscheiden dürfen. Schulen, an denen Kinder von Anfang an auch falsche Entscheidungen treffen dürfen. Damit sie daraus lernen. Und es später besser machen.
Damit sie mit 25 Jahren dann gerüstet sind. Und dann wissen, wie man entscheidet.
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Spannender Artikel zu diesem Thema im Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/berlin/zwischen-18-und-mitte-30-die-haertesten-lebensjahre-ueberhaupt/14878574.html